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Übernachtungsschutz Lotte-Branz-Strasse

Seit 2012 betreibt die Landeshauptstadt München ein bundesweit einzigartiges Übernachtungsangebot für obdachlose Männer, Frauen und Kinder, zunächst behelfsmäßig untergebracht in einem Gebäude der ehemaligen Bayern-Kaserne. Durch den nun in Schwabing-Freimann fertiggestellten Neubau mit ungefähr 800 Plätzen konnten die Standards und die Bandbreite der Einrichtung deutlich verbessert werden. So werden die Schutzsuchenden nicht länger in Räumen mit acht bis zwölf Personen untergebracht, sondern in Vier-Bett-Zimmern. Zudem wandelt sich das Angebot von der reinen nächtlichen Unterbringung hin zu einer umfassenden Versorgung mit angemessenen Räumen für Beratung, medizinische Behandlung und einen Tagestreff. Neben der Sicherstellung der funktionellen Aspekte muss die Architektur des Hauses, das einen Schutzraum für besonders benachteiligte Menschen darstellt, hohen ästhetischen Ansprüchen genügen, so die Überzeugung des Hild und K Teams.

Um Konflikte innerhalb der Einrichtung zu minimieren, werden die einzelnen Gruppen getrennt voneinander untergebracht. Zugleich ist eine gewisse Durchlässigkeit unverzichtbar für den reibungslosen und flexiblen Betrieb. Die auf diesen funktionalen Vorgaben basierende räumliche Struktur lehnt sich typologisch an das historische Ledigenheim Theodor Fischers an. Einzelne „Gebäudefinger“ sind versetzt zueinander angeordnet und nur in den Eckbereichen verbunden. Der Grundriss gewinnt der kammartigen Struktur eine weitere, gerade angesichts der wenig einladenden Lage des Gebäudes zwischen Großmärkten, Lagerhallen und Parkplätzen entscheidende Qualität ab: Mit attraktiven Höfen entstehen zusätzliche, geschützte Räume für den Aufenthalt im Freien. Dahinter steht der Wunsch, „den Übernachtungsgästen nicht nur Hilfe in einer äußersten Notlage, sondern eine ‚Heimat auf Zeit‘ zu bieten“, so der federführende Büropartner Matthias Haber.   

In den 1920er Jahren, als Theodor Fischer sein Männerwohnheim plante, war das umgebende Westend ein industriell geprägtes Viertel. Erst später kam die heute bestimmende Wohnbebauung hinzu. Diese reagiert in hohem Maße auf die von dem Architekten und Stadtplaner vorgegebene Blockstruktur. Ähnlich könnte der im derzeitigen Gewerbegebiet angesiedelte Neubau, so die Hoffnung des Entwurfsteams, als erster Stadtbaustein einen Impuls für das am Standort vorgesehene, gemischt genutzte Quartier setzen. Und so dafür sorgen, auch die darin untergebrachte Einrichtung auf lange Sicht hin ins Stadtgefüge zu integrieren.

Aus Gründen der Kosten- und Zeitersparnis bot sich für das Projekt eine serielle Bauweise an. Über einem robusten Sockelbereich aus Betonfertigteilen ist die aufgehende Fassade aus ziegelrot gestrichenen, vorgefertigten Holzrahmenelementen aufgebaut. Die „Bordüre“ unterhalb der Attika besitzt ein Vorbild in autochtonen Bauweisen. Hier decken kunstvoll profilierte Bretter empfindliches Hirnholz ab und schützen so die Konstruktion bzw. die Anschlüsse vor Witterungseinflüssen. Beim aktuellen Neubau liegen hinter den Verblendungen waagrechte Flächen, die bei Nässe ebenfalls gefährdet wären. Konträr zu ihrer Funktion als „Opferbretter“, die bei entsprechenden Alterungserscheinungen anders als die dahinterliegenden Bauteile unkompliziert ausgetauscht werden können, besitzen die sorgsam gestalteten Elemente hier wie da einen besonderen ästhetischen Reiz. Mit der textilen Assoziation der Bordüre knüpfen Hild und K auch an die eigene Bürotradition an. Nicht zum ersten Mal inszenieren sie hier die Gebäudehülle als schmückende „Bekleidung“ im Sinne Gottfried Sempers.  

Im Innenraum wurden mit Holz, Linoleum, geschliffenem Estrich und Keramikfliesen Materialien verbaut, die strapazierfähig sind und doch für eine einladende Atmosphäre sorgen. Das Farbkonzept verstärkt den freundlichen Eindruck und sorgt für Orientierung.

Während also in der Fassade und im Innenausbau nachwachsende Rohstoffe eine wichtige Rolle spielen, bildet ein Betonskelettbau aus Fertigteilelementen die Tragkonstruktion. Diese Bauweise ermöglicht es, durch einfachen Rück-, Um- und Weiterbau flexibel auf mögliche Zukunftsszenarien, wie beispielsweise Nutzungsänderungen, zu reagieren. Die Anpassungsfähigkeit darf als wesentlicher Nachhaltigkeitsfaktor im Lebenszyklus von Gebäuden gelten. Sollte es tatsächlich gelingen, dem Problem der Obdachlosigkeit, wie von der Europäischen Union gefordert, ganz grundsätzlich entgegenzutreten, wäre es für Matthias Haber „eine Traumaufgabe, das Haus für seine Nutzerinnen und Nutzer in Wohnungen umzubauen“.

Projektinformationen

Projekttyp: Wohnungsbau
Standort: München
Bauherr/in: Landeshauptstadt München
Projektstatus: Gebaut
Fertigstellung: 2023
Architektur: Hild und K Architekten
Andreas Hild, Dionys Ottl, Matthias Haber
Projektleitung: Katharina Benz
Mitarbeit: Klaudia Janc

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