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Rhythmisierte Silhouette

Auf einer als Parkplatz genutzten Brachfläche zwischen der Bahnanlage Nürtingen und der vielbefahrenen Oberboihinger Straße soll eine urbane Wohnbebauung mit Gewerbeanteil und Mobilitätshub realisiert werden. Um einen städtebaulichen Entwurf mit hochbaulicher Vertiefung und ein freiräumliches Konzept für den neu entstehenden Bahnhofsvorplatz zu erhalten, lobte die Objektgesellschaft Neue Weinsteige gemeinsam mit der Stadt Nürtingen eine städtebauliche Mehrfachbeauftragung aus. Die Arbeit von Hild und K wurde dabei mit dem vierten Preis ausgezeichnet. Sie verbindet eine hohe Dichte mit einer durchlässigen Silhouette von städtebaulicher Prägnanz. Die Freiraumstruktur unterscheidet klar zwischen öffentlichen, stark belebten Zonen und Rückzugsräumen, die sie vor allem auf begrünten Flachdächern ansiedelt. Die Konstruktion in Holzmassivbauweise und die Kompaktheit der Baukörper sorgen für deutliche Einsparungen beim C02 Ausstoß.

Nach Ansicht der Jury gelingt es dem Entwurf, „durch die Ausbildung einer rhythmisierten Reihung von achtgeschossigen Wohnbauten die Länge des Grundstücks zu bespielen und eine städtebaulich markante und wiedererkennbare Situation zu schaffen. Die Gesamtfigur wird in eine kürzere, der Stadt und dem Bahnhof zugewandte öffentlich geförderte und eine längere, dem Stadteingang zugewandte, frei finanzierte Einheit unterteilt. Dadurch entsteht an sinnvoller, weil zentraler Stelle eine öffentliche Platzsituation, die, wie auch der Platz am Bahnhof, mit einer Laden- bzw. Café-Nutzung belebend bespielt wird.“

Um eine deutlich verdichtete Bebauung in die heterogene Stadtstruktur am Bahnhof einzugliedern, bündelt der Entwurf die Masse in möglichst kompakten Punkten, so dass eine rhythmisierte Silhouette entsteht. Den Auftakt bilden zu beiden Seiten achtgeschossige, leicht polygonal geformte Türme, welche Reisenden bei der Ankunft in Nürtingen als Orientierungspunkte dienen. Die Dachflächen der Sockelbauten, welche die Punkthäuser verbinden, werden intensiv bepflanzt. Sie bieten so von der Bahnlinie und der Straße erhabene Rückzugsräume für die neuen Bewohnerinnen. Es entsteht eine Binnenwelt mit hoher Aufenthaltsqualität und generationenübergreifendem Nutzungsangebot.

Die Unterteilung in einen längeren und kürzeren Baukörper ermöglicht die Realteilung zwischen geförderten und freifinanzierten Wohngebäuden ebenso wie die Setzung unterschiedlicher Schwerpunkte in der Erdgeschossbelegung. Im südlichen Teil entlang des Bahnsteiges wird dabei eine offene, attraktive und umlaufende Zone mit möglichst vielen, gut zugänglichen und vom Bahnhof aus präsenten Gewerbeflächen ausgebildet. Der längere nördliche Baukörper wird abseits des Bahnsteigs in Renaturierungsflächen eingebettet und erhält einen weniger öffentlichen Charakter.

Für die Fassaden der Wohngebäude werden vorgefertigte Brettsperrholzelemente mit vorvergrauter Holzschalung vorgeschlagen. Der verbindende Sockel aus Sichtbeton unterstreicht das öffentliche Erdgeschoss durch robusteres Material. Der nördliche Baukörper erhält eine natürliche vorvergraute Holzoptik, während der Baukörper zum Bahnhofsplatz durch farbige Lasur einen urbaneren Charakter annimmt. Für den zwischen Bahn und Hauptverkehrsstraße notwendigen Schallschutz sorgen verglaste Loggien.

An prominenter Stelle verbindet ein Mobilitätscafé die beiden wichtigsten neuen Funktionen mit dem Bahnhofsplatz. Ergänzende, kommerziell genutzte Flächen sind von allen Seiten gut erreich- und auffindbar. Der leichte Gebäudeknick des Hochpunktes am neuen Bahnhofsplatz verbessert gemeinsam mit einem Versatz über dem Sockelgeschoss die Sichtbarkeit der rückwärtig gelegenen Ladenflächen. Die direkte Verbindung zum Gleis und eine durchgehend urbane Belags- und Platzgestaltung helfen zusätzlich, den Eindruck von B-Adressen zu vermeiden.

Die vorgeschlagene Typologie ermöglicht größtenteils Eckwohnungen mit Ausblicken und Ausrichtungen in unterschiedliche Himmelsrichtungen. Kompakte Erschließungskerne, effiziente interne Wohnungserschließungen und gut differenzierte und helle Wohn-Essbereiche mit abtrennbaren Küchen ermöglichen sehr gute Wohnqualitäten unter möglichst ökonomischen Voraussetzungen. In den Verbindungsbauten werden entlang eines Mittelgangs Sondertypologien wie studentisches Wohnen angeordnet. Dies ermöglicht Baukörpertiefen von über 20 Metern und damit eine suffiziente Ausnutzung der Grundstückstiefe. 

Angesichts gut gedämmter, energieeffizienter Neubauten gewinnt die Betrachtung der grauen Energie ein immer größeres Gewicht innerhalb der Ökobilanz. Primärtragwerk und Fassade machen bei konventioneller mineralischer Bauweise über 80% der CO²-Emissionen aus. Der vorgeschlagene Massivholzbau erlaubt demgegenüber eine Reduzierung um mehr als 70%. Das Bauwerk dient darüber hinaus als großer CO²-Speicher. Der Entwurf verbindet dabei ökomische Belange von Modularisierung und hoher Vorfertigung mit dem Einsatz nachwachsender Rohstoffe. Eine geringe Hüllfläche mit Schallschutzloggien als Pufferräumen und sehr gutem A/V Verhältnis lässt einen geringen Energieverbrauch erwarten, welcher über die PV-Flächen auf den Dächern gedeckt werden kann. Intensiv begrünte Retentionsdächer halten Regenwasser bei Starkregenereignissen zurück, fördern die Artenvielfalt und verbessern das Mikroklima.