WOLF – Ein Weißer
frisch und spritzig auf feinen Hefen in die Flasche gefüllt. Das helle Gold im Glas korrespondiert mit gelbem Steinobst samt Steinen im Mund. Deutlich schmeckt dieser Wein, etwas streng, leicht oxydiert, mit staubigen Tönen und einer Spur Salz. So sehr trocken, dass er an abweisende Charaktere erinnert. Geformte Erbarmungslosigkeit ruhigen Meeresspiegels unter gleißender Sonne. Tom Ripley fände Gefallen daran.
BONNIN – Ein Roter
aus alter, autochthoner Traube, von Stöcken auf Fels und ziegelfarbenem Ton. Klar im Rubin mit violetten Reflexen präsentiert er sich pur und herb, mit wenigen süßen Spitzen. Selbstsicher wie ein verwurzelter Bauer bringt er den Boden ins Glas, auf dem er gewachsen ist, erinnert er an Pflaume und Kirschen, an etwas harzige Pinie, eine Spur Schokolade und einen Hauch Pfeffer. Unaufdringlich und souverän verbindet er mühelos Tradition und modernen Stil, weder Ergebnis bloß überkommener Methoden, noch fragloser Huldigung neuer Technik. Gewachsenes Selbstverständnis ästhetisch geformt.
KEMETER – Ein Weißer
als feines Resultat serieller Fertigung: sorgfältig gearbeitet, klar strukturiert, die Früchte der fünf verschnittenen Reben schön herausgearbeitet. Gewachsen auf Dolomit, maschinell entrappt und temperaturkontrolliert im Stahltank vergoren, repräsentiert dieser Wein moderne und rationelle Vinifikation. Anklänge fleischiger Früchte, Pfirsich, Aprikose, und der Geruch von Kieselsteinen nach sommerlichem Regen. Fest und doch leicht, hell, transluzent und in sich geschlossen. Einfach weißer Wein. Ganz und gar unverspielt.
SAMMELN – Ein Weißer
gewachsen auf steinigem Boden unter südlicher Sonne. Ausladend und goldgelackt macht er sich auf der Zunge breit, mit Schwaden von exotischer Frucht den Gaumen überziehend. Polierte Oberfläche, Anschein von Talmi, goldener Armreif, satt und doch hauchdünn. Neobarock, plakativ und etwas grell.
KEMPTEN – Ein Roter
von 35 Jahre alten Stöcken auf Kalkboden in Südostlage. Klar strukturiert und schlank, mit festem Körper, zeigt er sich im dunklen Gewand mit purpurnen Reflexen konzentriert dicht. Blau in der Nase spült er auf die Zunge Kirsche mit leichtem Bittermandelton. Feine Holznoten geben ihm Halt und eine gewisse Strenge, die ob der klaren Kontur, die sie verleiht, untrennbar mit der Schönheit dieses Weins verbunden ist. Zechwein vom Feinen, vital und lebensnah kühl.
WARTEHAUS – Bernstein in flüssiger Form
das Paradoxon des Lebens sinnlich erfahrbar gemacht: die Süße über gereifte Früchte und dunkles Karamel, auf dem Grunde dann herbe Noten und die bitteren Töne von Orangenschalen. Ein dicht gewirkter, fester Wein, der so gar nichts schweres hat. Von einer Fülle saftiger Tannine durchzogen, bleibt er im Mund dennoch weich. Bei aller Kraft fließt er erstaunlich leicht und ohne jede Klebrigkeit. In ihm verbinden sich Festigkeit und eleganter Auftritt, Transparenz und Dichte, Ornament und Klarheit. Vergnügt schafft er ein Fluidum von sinnlich kostbarem Esprit.
THEATER – Ein Roter
schon etwas älter und voller Würde. Ziegelrot mit schönem Altersrand, die gereiften Aromen roter Früchte und eine Würze, die im hellen Geschmacksbereich spielt. Ein fester Kern, doch filigran und transparent. Wer ihn auf die Zunge nimmt, spürt am Gaumen Marcel Prousts wiedergefundene Zeit. Träumer, der durch die Wälder gestriffen ist, den Geruch von hellen Beeren, Pilzen, Moos, Herbstlaub und Wild erinnernd. Heller Geist, dessen Kleid den Schimmer reinsten Sonnenlichts birgt, bezaubert er mit skurriler Art. Ein Komödiant, der den Blick himmelwärts richtet.
Walter Zimmermann
Eine Architekturausstellung ist eine Architekturausstellung ist eine Architekturausstellung?
In der Münchner Galerie Barbara Gross eröffnet eine ungewöhnliche Architekturausstellung, konzipiert von Dr. Matthias Castorph. Hild und K – Architektur / Geschmackssache erprobt eine neue Form, Architektur auszustellen. Statt der üblichen Fotos, Modelle und Zeichnungen werden bekannte Projekte von Hild & Kaltwasser – die seit 1998 als Hild und K firmieren – als Weinpräsentation vorgestellt.
Wer eine Architekturausstellung konzipiert, steckt in einem Dilemma: Da Architektur untrennbar mit ihrem Standort verbunden ist, lässt sie sich nicht in eine Galerie oder in ein Museum transportieren. Anstelle der Gebäude, um die es geht, werden daher üblicherweise Skizzen, Pläne, Modelle oder Fotos gezeigt. Den Machern von Architektur / Geschmackssache erscheint diese Methode unzulänglich, ja fragwürdig. Niemals, so meinen sie, können die genannten Repräsentationsformen ihrem Objekt ganz gerecht werden. Niemals können sie das sinnliche Erlebnis des Gebäudes selbst ersetzen. Während Ausstellungsmacher diese Grenzen üblicherweise außer acht lassen, versteht sich Architektur / Geschmackssache als Reflexion über die (Un)möglichkeit der Architekturausstellung an sich. Sie verweigert das Heranziehen der üblichen Stellvertreter und präsentiert stattdessen auf speziell angefertigten Wandträgern Weinflaschen, deren Etiketten bekannte Projekte von Hild und Kaltwasser zeigen. Statt sich auf die Darstellung des gebauten Objektes zu beschränken, erweitert sie den Begriff von Architektur und damit versuchsweise ihre eigenen Möglichkeiten. Architektur ist mehr als das fertige Gebäude aus Stein, Glas oder Beton: Architektur ist ebensogut ein Schaffensprozess, der Entwerfen und Verwerfen sowie Planen und Irren beinhaltet. Sie braucht ihre Zeit, um zu reifen, ähnlich wie ein guter Wein. Für die, die sie betrachten, die sie nutzen und bewohnen, ist Architektur ein sinnliches Erlebnis; im Falle gelungener Architektur ein sinnlicher Genuss. Auch das verbindet sie mit einem guten Wein.
Ganz unmittelbar präsent ist eine Arbeit von Hild und K mit der Ausstellungsarchitektur, den Eichensockeln, auf denen die Weinflaschen stehen. Durch die Etiketten auf den Weinflaschen behauptet schließlich eine besondere Form von Stellvertretung ihren Platz: Walter Zimmermann hat jedem der vertretenen Projekte einen bestimmten Wein zugeordnet. Er beantwortet damit – natürlich ganz subjektiv – die Frage: „Wie eigentlich schmeckt gute Architektur?“ Um seine Antwort auch für andere erfahrbar zu machen, wird für Besucher der Galerie jeden Tag ein bestimmter Wein ausgeschenkt.
Architektur ausstellen ist in seinen Möglichkeiten begrenzt. Wenn man nicht das Gebäude selbst zeigt, kann man Architekturen nur entweder (re)präsentieren oder evozieren. Definiert man mit aller gebotenen Vorsicht „Repräsentieren“ als stellvertretendes Darstellen oder Vorzeigen der Architektur, so bietet dafür eine lange Tradition im Grenzgebiet von Architekturtheorie, Malerei, Handwerk, Fotografie und Ingenieurswissenschaften einen gewissen Kanon von Substituten, der zwar an den Rändern unscharf und daher in Maßen auch Innovationen zugänglich, in den Grundzügen dagegen dennoch festgelegt ist – als Sprache nämlich derjenigen Formen und Formeln, in deren Auftritt sozusagen die Architektur selbst noch einmal auftritt, um sich so, in Wandlungen die gleichwohl ihr Wesentliches unangetastet lassen, dem Betrachter zu zeigen. Es geht bei diesen Substituten also um Skizzen, Pläne, Schnitte, Aufrisse, Ansichten, Perspektiven, Modelle, Simulationen oder Fotos. Dieser Vorgang der Repräsentation ist ebenso alt und uns allen vertraut wie auch logisch und ästhetisch fragwürdig, ja im letzten scheiternd.
Ob und wie man demgegenüber Evozieren und Evokation von Architektur definieren kann, ist zunächst noch ganz unklar (und vielleicht sogar befremdlich). Vom Vorhaben der Repräsentation unterschiede sich dasjenige der Evokation aber zunächst jedenfalls an den ästhetischen und logischen Grundlagen. Das Vorhaben der Repräsentation speist sich nämlich aus der Differenz zwischen Bauten und Substituten – oder auch jener zwischen Ideen und Darstellungen von Ideen, Produkten und Anweisungen, Dingen und Zeichen oder Dingen und Abbildern – die die Repräsentation zumeist negatorisch abarbeiten will, ja zum Verschwinden bringen soll, so, dass man am Ende glauben mag, das Modell entspreche dem fertigen Bau oder auch das Foto gebe das Gebäude wieder. Demgegenüber würde das Vorhaben der Evokation von Architektur diese Differenz von vornherein als das behandeln, was sie in Wahrheit darstellt – nämlich eine logisch und ästhetisch unhintergehbare Barriere – und sie auf ihre Weise als solche in einem Vorgang bearbeiten, der nicht so sehr ein technischer als vielmehr ein reflexiver Vorgang wäre, also einer, in dem eine Rückbesinnung auf die Ausgangssituation stattfindet: die Situation nämlich der Limitiertheit der Möglichkeiten, Architektur auszustellen. Architektur zu evozieren wäre also als ein noch ungesichertes, ohne festgelegte Formen- und Formelsprache zu versuchendes Unterfangen. Ob das gelingen kann, vermag nur der Versuch zu zeigen…
Man kann die Versuchsanordnung der Ausstellung in diesem theoretischen Rahmen rekonstruieren und zugleich diesen selbst noch einmal bedenken. Traditionelle Repräsentationsformen wie etwa Plan, Ansicht, Modell oder Foto sind für Betrachter nur bedingt mit Gewinn verbunden. Gewiss – ein Fachmann vermag wohl aus Fixierungen der Stationen des Produktionsvorganges eine Vorstellung des Gebäudes entwickeln, sozusagen ein Produkt aus der Formel erahnen. Dem Nichtarchitekt dagegen müssen solche Informationen verloren gehen, die im übrigen eben auch nur Informationen innerhalb eines Systems, welches das Errichten von Gebäuden zum Ziel hat, sind. Solchen „normalen“ Betrachtern verbleibt zumeist nur das Abbild – sei es als Ansicht, Perspektive, CAD-Simulation oder Photo. Niemand indes würde wohl mit dergleichen Selbstverständlichkeit, mit der man annimmt, ein Photo bilde ein Gebäude ab „wie es ist“, annehmen, dass etwa Karl Lagerfeld Chanel-Kostüme abbilde „wie sie sind“. Hier ist jedem klar, dass Modelle und Photos eine Funktion erfüllen, die jedenfalls nicht nur oder nur noch marginal mit schlichter Repräsentation zusammenhängt…
Man müsste also zumindest dazu kommen, Architektursubstitute in etwa der Art zu betrachten, wie man gelernt hat, Gemälde zu betrachten; nicht also konzentriert auf das Abgebildete, sondern auf das Abbilden – denn wir bewundern weniger (gesetzt einmal, wir tun es) Rubens Frauen als vielmehr Rubens Malen.
Stellt man also traditionelle Substitute aus, so wird man das zwar nicht als falsch oder gar unsinnig verwerfen können – aber doch zumindest dann als inkonsistent, wenn es ohne das Bewusstsein von der Problematik des Repräsentierens insgesamt stattfindet. Will man auf der anderen Seite der Gefahr entgehen, Architektur nur sozusagen wie Kunst im weitesten Sinne auszustellen, so muss man den Begriff der Architektur insgesamt dahingehend erweitern, dass auch die Substitute nicht lediglich Abfallprodukte oder Produkte einer ganz anders gearteten (nämlich einer irgendwie kreativen oder künstlerischen) Praxis sondern selbst Teil der Arbeit des Architekten sind, dann mag das Unternehmen Sinn und Stimmigkeit besitzen…
…und ist tatsächlich nur noch einen winzigen Schritt entfernt, von dem, was Architektur evozieren bedeuten könnte. In einer Ausstellung von „Architektur“, die als Begriff und als Wirklichkeit umfassender konzipiert ist als die bloße Fokussierung auf das Gebäude (als Versicherung oder Versprechen der Repräsentanz – je nachdem, ob das Gebäude schon existiert oder erst noch existieren soll) einerseits oder eine vage Vorstellung von künstlerischer Betätigung andererseits nahe legt, müsste also die gesamte Arbeit oder ein gesamter Arbeitsausschnitt des Architekten, der damit zugleich sie und sich selbst präsentiert, erscheinen oder hervorgerufen werden. Dass für ein solches Vorhaben keine vorab definierten Substitute zur Verfügung stehen können ist klar – denn der Vorgang der Evokation ist kein technisch vermittelter Vorgang in vorläufig gesicherten Bahnen gelenkter Phantasie (wie etwa beim Betrachten eines Fotos), sondern ein reflexiver Vorgang der freien Einbildungskräfte des Angesprochenen. Ob dadurch ein Bild entsteht, ein Eindruck vermittelt wird, eine Spur bleibt oder ein Interesse entsteht kann sich nur im Augenblick zeigen… oder scheitern.
Man kann in der Ausstellung also den Versuch eines Nachdenkens über diese Probleme und einen Grenzgang auf der Schneide zwischen Repräsentation und Evokation sehen. Hier finden sich Spuren der reinen Präsenz eines architektonischen Objektes selbst (Tisch und Stühle), zugleich auch Spuren der Repräsentation in einer verzweigten Brechung von Zitat, Analogie und Abstraktion (die Etiketten) und schließlich Andeutungen der Evokation, die selbst noch einmal auf eine lange Tradition der Evokation „gekelterter Zeit“ Bezug nimmt (die Weine). Dieser Versuch spricht unmittelbar zu vielen Sinnen, wie er auch viele Fragen notwendig unbeantwortet lassen muss, denn er kann nur ein erster Schritt sein auf dünnem Boden.
Abseits der Ironie, die Mancher vielleicht herauslesen wird und die jede freiere Reflexion über weitgespanntem theoretischem Abgrund wie einen Schatten bei sich führt, mag aber zumindest dies aufscheinen: dass Architektur ausstellen sich nicht endlos in Kulissen einer fragwürdigen Repräsentanz vollziehen kann sondern eine angespanntere Aufmerksamkeit fordert und erfordert, wie wir sie sonst vielleicht nur noch uns selbst und unseren unmittelbaren Eindrücken zu widmen gewillt sind – die uns hier aber gewissermaßen Hand in Hand damit angeboten wird.
Architektur ausstellen ist in seinen Möglichkeiten (un)begrenzt ?!?
Dr. Tassilo Eichberger